Wenn es eine Lehre aus Corona gibt, dann wohl diese: Die Zensur kritischer Stimmen hat letztlich der gesamten Gesellschaft geschadet.1
Milosz Matuschek
Im Juni 2021 hatte Expressis Verbis eine Serie Videos von Interviews mit Benoît Ochs auf Youtube veröffentlicht. Nach einigen Monaten waren diese, ohne weitere Mitteilung seitens der Video-Plattform, gelöscht worden. Ein Ende September gleichen Jahres veröffentlichtes Video über die Nebenwirkungen der Covid-19 Impfstoffe hatte bereits nach wenigen Tagen mehrere Tausend Aufrufe zu verzeichnen. Es wurde kurz danach entfernt und Expressis Verbis erhielt einen „Strike“, also eine Warnung wegen eines Contents der nicht den „Community guidelines“ entsprach. Eine bis heute unbeantwortete Frage: Wer hatte diese Löschungen veranlasst?
In diesem Zusammenhang ebenfalls unklar: wie kommen eigentlich die „information panels“ unter den Videos zustande, wo auf die Webseite der luxemburgischen Regierung weiter verlinkt wird, falls es sich um Inhalte handelt, welche mit Covid-19 in Verbindung stehen?
War es – naiv gefragt – eine Public Private Partnership? Von wem ging die Initiative aus, wurde die Video-Plattform für das Anzeigen dieser Infobox entlohnt, und wenn ja, von wem? Youtube distanzierte sich jedenfalls formell immer von deren Inhalt:
YouTube doesn't endorse or create any of the info shown in information panels on YouTube. If you disagree with info in a particular article, please contact the website owner that published the article.
Von Solomon Asch bis Infokrieg
Seit dem berühmten Experiment von Solomon Asch wissen wir, dass Gruppenzwang am besten funktioniert wenn alle mitmachen. Jeder einzelne Dissident stört einen künstlich herbeigeführten Konsens empfindlich. Möchte man also ein bestimmtes Narrativ einführen, so gilt es deshalb um jeden Preis etwaige Gegenstimmen im Keim zu ersticken.
Gelingt dies, so führt das im Extremfall zu einer Situation vergleichbar mit jener welcher im Märchen von “des Kaisers neuen Kleider” beschrieben wird: jeder kennt die Wahrheit, doch keiner traut sich sie auszusprechen. Für den Einzelnen stellt das ein “Gaslighting” dar, weil ihm die eigene sinnliche Wahrnehmung, Verstand und Intuition als unwahr suggeriert werden. Man darf diesen Zustand daher durchaus mit dem unschönen Wort “Totalitarismus” umschreiben.
Da die freie Meinungsäußerung aber nunmal ein Grundrecht ist, und Zensur somit faktisch in Demokratien verboten ist, musste eine Lösung gefunden werden. Wie die Twitter- und Facebook-Files sowie auch der neue Digital Services Act (DSA) der EU gezeigt haben, kann man dieses Problem elegant umgehen, indem man die Zensur sozusagen privatisiert: man verpflichtet einfach die sozialen Plattformen Inhalte, welche nicht “bestimmten Regeln” entsprechen, zu löschen, sodass dann genau diejenigen übrig bleiben, welche das gewünschte Narrativ bestätigen.
Die Situation welche unter anderem auf diese Art entsteht, kann durchaus als Informationskrieg bezeichnet werden. Wem dies als krude Verschwörungstheorie erscheint, dem sei einfach einmal ein offizielles Dokument der NATO zum Nachlesen ans Herz gelegt: „Inoculation Theory and Misinformation“2.
Hier werden Techniken vorgestellt - unter anderem genau für diesen Zweck konzipierte Online-Spiele und Videos - welche die Bevölkerung gegen Desinformation „impfen“ sollen. Eines der vorgestellten Spiele, „Harmony Square“ wird noch einmal weiter unten Erwähnung finden. Eine Organisation, welche doch eher mit der militärischen Verteidigung in Zusammenhang gebracht wird, bekennt sich hier offen zum Einsatz von psychologischen Techniken, welche die Gesellschaft zu einer Ablehnung gegenüber divergierenden Meinungen konditionieren soll. Der Krieg wird also nicht länger nur noch auf dem Schlachtfeld geführt, sondern besteht mittlerweile auch in der Verbreitung und Verteidigung von Narrativen.
Censorship Industrial Complex
Dank eines Whistleblowers kamen kürzlich Dokumente ans Licht, welche den Impakt der Veröffentlichung der Twitter- und Facebook-Files noch in den Schatten stellen dürften. Laut einem Artikel mehrerer Investigativ-Journalisten auf Substack, wird durch diesen Leak der Aufbau einer regelrechten Anti-Desinformations-Industrie ab 2018 durch eine Gruppierung namens “Cyber Threat Intelligence League” (CTIL) dokumentiert3. Die Autoren benutzen hierfür den Begriff “Censorship Industrial Complex”4. Auch wenn diese Bewegung ihren Ursprung in den USA nahm, so ist sie mittlerweile global aktiv.
Die CTIL erfindet das Rad nicht neu: Begriffe, Techniken und Strategien wie sie in der Cyber-Security zum Einsatz kommen, werden übernommen und weiterentwickelt. Eine Verallgemeinerung des Sicherheitsbegriff im Bereich der Information dient hierbei sozusagen als theoretischer Überbau.
Die Einführung einer “kognitiven Dimension” dehnt den Begriff Information auf die Wahrnehmung und das Verständnis der Realität und somit auch auf die Meinungsbildung aus. In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass Institutionen, welche bislang lediglich das Internet im Hinblick auf Cyber-Security überwacht haben, nun auch Informationen aufspüren sollen, welche eine Gefahr für die „kognitive Sicherheit“ sind, mit anderen Worten: Online-Inhalte, welche von offiziellen Narrativen abweichen, und somit Zweifel an diesen erzeugen.
Das DISARM-Framework
Wie dieser “industrielle Zensur-Komplex” funktioniert, offenbart eindrucksvoll das vom CTIL entwickelte “DISARM-Framework”. Es besteht im Wesentlichen aus einer Datenbank in welcher alle möglichen Informationen im Zusammenhang mit Desinformation und derer Bekämpfung gesammelt werden. Ausserdem wird ein Format spezifiziert, welches einen effizienten und länderübergreifenden da sprachunabhängigen Austausch von Daten erlaubt5.
DISARM is the open-source, master framework for fighting disinformation through sharing data & analysis, and coordinating effective action. The Framework has been developed, drawing on global cybersecurity best practices. It is used to help communicators, from whichever discipline or sector, to gain a clear shared understanding of disinformation incidents and to immediately identify defensive and mitigation actions that are available to them.
Der folgende Screenshot zeigt einen Ausschnitt aus dem “Blue Framework”, welche mögliche Gegenmaßnahmen von Desinformations-Attacken auflistet6.
Hier werden nicht nur die Löschungen von Online-Content, Accounts und ganzen Gruppen in Betracht gezogen, man schlägt sogar vor, Urheber mit rechtlichen Klagen zu “überhäufen”, damit sie von der Erzeugung von Desinformation “abgelenkt” werden:
File multiple lawsuits against known misinformation creators and posters, to distract them from disinformation creation.
Bei der Beschreibung des Frameworks werden schließlich noch eine Reihe von Institutionen bzw. Projekte aufgezählt, welche dieses Framework benutzen. Wir benutzen hier die von der “Wayback machine” archivierte Version vom 14.08.2022, welche zusätzlich das Online-Spiel „Harmony Square“ erwähnt (Hervorhebungen durch den Autor)7:
The framework has helped establish new institutions, including the Cognitive Security ISAO, the Computer Incident Response Center Luxembourg, ADTAC’s (DROG) ‘bad news game’ titled Harmony Square, OpenFacto’s analysis programme and has been used in the training of journalists in Kenya and Nigeria. To illustrate, with one other specific example, DISARM was employed within the World Health Organization’s operations, countering anti-vaccination campaigns across Europe.[...]
Die Nennung einer öffentlichen luxemburgischen Behörde in dieser Liste läßt aufhorchen: das “Computer Incident Response Center Luxembourg” (CIRCL) wurde 2008 gegründet, und sollte sich ausschließlich um die Cyber-Sicherheit kümmern8.
The Computer Incident Response Center Luxembourg (CIRCL) is a government-driven initiative designed to gather, review, report and respond to computer security threats and incidents.
Auf ihrer Webseite findet man auch entsprechend nur Informationen betreffend Netzwerk-Infrastruktur und Software9. Um den Zusammenhang in welchem das CIRCL genannt wird etwas näher zu beleuchten, sehen wir uns die anderen Einträge dieser Liste an.
1. Cognitive Security ISAO
Diese Institution mit Sitz in Florida wurde Anfang 2020 ins Leben gerufen, ISAO steht dabei für „Information Sharing and Analysis Organization“ und bezeichnet im Allgemeinen gemeinnützige Organisationen, welche Informationen zur Cyber-Sicherheit sammeln und zur Verfügung stellen. Hier wurden offensichtlich die Aktivitäten im Sinne der weiter oben betrachteten „kognitiven Dimension“ erweitert10:
The Cognitive Security ISAO’s mission is to “accelerate cognitive security resilience by advancing the capacity and capability to share malign influence and disinformation intelligence, and to create, disseminate and apply the countermeasures, tools, technologies, best practices and education to protect the global information ecosystem”.
2. Harmony Square
Das Online-Spiel wurde schon in dem vorgestellten NATO-Papier erwähnt. Dass es die Funktion eines „psychologischen Impfstoffs“ erfüllen soll, wird in dessen Beschreibung noch einmal bestätigt11:
The goal of the game is to expose the tactics and manipulation techniques that are used to mislead people, build up a following, or exploit societal tensions for political purposes. Harmony Square works as a psychological “vaccine” against disinformation: playing it builds cognitive resistance against common forms of manipulation that you may encounter online.
3. OpenFacto
OpenFacto ist eine französische Gesellschaft ohne Gewinnzweck, welche die französischsprachige OSINT-Gemeinde fördern will12. OSINT ist die Abkürzung für „Open Source Intelligence“, ein Begriff welcher ursprünglich von Nachrichtendiensten benutzt wurde „bei dem für die Nachrichtengewinnung Informationen aus frei verfügbaren, offenen Quellen gesammelt werden“13.
Eines der Projekte von OpenFacto war das „Dashboard recherche sur la COVID 19“, wobei es sich, neben Datensätzen zur Pandemie, im Wesentlichen um eine Sammlung von Internet-Quellen rund um das Thema Desinformation im Zusammenhang mit Covid-19 handelte14.
Dass im Weiteren das DISARM-Framework von der WHO in Europa eingesetzt wurde um „anti-vaccination campaigns“ entgegenzuwirken, bestätigt die Stoßrichtung der bisher aufgezählten Beispiele.
Die Frage die sich nun zwangsweise stellt: wieso taucht eine öffentliche Institution welche für Cyber-Security zuständig ist, in dieser Liste auf?
Eigentlich gibt es nur 2 mögliche Antworten:
bei dem Eintrag handelt es sich um einen Irrtum seitens der DISARM-Foundation
das Einsatzgebiet dieser Institution wurde im Sinne der „kognitiven Dimension“ erweitert.
Wir können hierauf keine Antwort geben, unsere Recherchen sind auf frei verfügbare Quellen beschränkt (sind in diesem Sinne also auch „OSINT“), und können daher nur auf eine Klarstellung im Zuge einer öffentlichen Debatte hoffen.
Tadaweb S.A.
Dieses in Luxemburg registrierte und in Belval ansässige Unternehmen wurde 2011 gegründet und ist tätig im Bereich “OSINT”. Es beschäftig 120 Mitarbeiter und betreibt Niederlassungen in Paris, London, und Ottawa. Anfang 2023 investierte die französische Investment-Firma Wendel 15 Millionen Euro in Tadaweb.
Die Internetpräsenz kann man eher als diskret einstufen, die hier geteilten Informationen beschränken sich auf ein Minimum15. Man vermisst vor allem die in diesem Bereich übliche Portfolio-Seite. Das Tätigkeitsgebiet wird auf der Eingangsseite beschrieben mit:
Our purpose is to make the world safer by empowering the human mind with the right information at the right time.[...]
Auf der Github-Seite des DISARM-Frameworks wird Tadaweb in einer Excel-Datei erwähnt, welche offensichtlich ein Export der Haupt-Datenbank von Juni 2022 ist16 . Unter dem Reiter “externalgroups” werden Institutionen aufgezählt, welche in Zusammenhang mit DISARM stehen. Dabei werden sie nach verschiedenen Kriterien in Kategorien eingeteilt:
“sector”: Zivilgesellschaft, NGO, Militär, Bildung/Hochschule, Technologie, Regierung, Medien, Andere
“primary role”: Gegenmaßnahmen, “Vertrauenswürdiger Inhalt”, öffentliche Bildung, Fact Checking, Fact Checking & Journalismus, Geldgeber, Influenzer, Recherchen, Medien, Politik, Forschung, “societal Resilience”
Tadaweb ist unter „sector“ als „Technologie“ und unter „primary_role“ als „Gegenmaßnahmen“ kategorisiert mit der Beschreibung:
Tadaweb is a platform for discovering and analyzing information on the web, which allows users to perform analysis of a specific topic to retrospectively derive insights about the spread of propaganda and disinformation. Analysts can monitor specific, suspicious online activity to address and counter disinformation in real-time.
Talkwalker S.à.r.l.
Wenn auch nicht im DISARM-Framework referenziert, so möchten wir in diesem Kontext noch kurz auf ein anderes luxemburgisches Unternehmen eingehen, welches in der OSINT-Domäne schon länger aktiv ist. 2016 gegründet, betreibt Talkwalker mittlerweile Niederlassungen in der ganzen Welt. Das Credo der Firma ist laut Webseite, dass vor Allem die Endverbraucher aus dem Monitoring der sozialen Plattformen einen Nutzen ziehen17.
Anders als Tadaweb kommuniziert man sehr offen Projekte welche verwirklicht wurden: unter “customer stories” findet sich beispielsweise eine “Erfolgsgeschichte” mit dem Titel “Tackling the infodemic using conversational insights - Case Study of UNICEF Response in MENA”18. Die “Missinformationen” die Talkwalker in diesem Zusammenhang ausfindig machen konnte, sind nach aktuellem Kenntnisstand als solche zumindest diskutabel, wenn nicht sogar widerlegt.
Main MENA misinformation narrative clouds revolved around vaccine efficacy, mRNA impacting your genome, whether it's halal or not, and other conspiracy theories.
Eine zugehörige wissenschaftliche Studie ist frei verfügbar, in einem eigens für “Infodemiologie” (!) gegründeten Journal19.
Offensichtlich bestehen auch keine Berührungsängste, den von der WHO geprägten Begriff “Infodemic” zu benutzen: in Anlehnung an das Wort “Epidemic” definiert die Weltgesundheitsorganisation diese Wortschöpfung folgendermaßen20:
An infodemic is too much information including false or misleading information in digital and physical environments during a disease outbreak.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass Talkwalker bereits “einen Fuß in der Tür” bei eben dieser UN-Institution hat. Diese bietet seit Ende 2020 in Zusammenarbeit mit CDC, ECDC und UNICEF ein “Infodemic Manager Training” an. Die zweite Ausgabe fand im Juni 2021 statt: hier gab es in der “Session 3 Social Listening” unter Anderem ein “Master Class Video” mit dem Titel “TalkWalker Presents: Free tools for an infodemic”21.
Auch in der Pharma-Industrie hat sich Talkwalker (mindestens) einen Großkunden gesichert. Kürzlich wurde durch einen Leak bekannt, dass Moderna eine Partnerschaft mit der von der Industrie finanzierten NGO “Public Good Projects” (PGP) unterhält. Letzterer wird nachgesagt in Zusammenarbeit mit Sozialen Medien und Regierungsbehörden sogenannte Desinformation gelöscht zu haben. Zum Aufspüren dieser Inhalte setzt Moderna unter Anderem eine KI von Talkwalker ein22.
With PGP, Moderna is monitoring a huge range of mainstream outlets, as well as unconventional ones, such as the Steam online gaming community and Medium. Meanwhile, Moderna also retains Talkwalker which uses its “Blue Silk” artificial intelligence to monitor vaccine-related conversations across 150 million websites in nearly 200 countries. Discussions around “competitor” issues, including discussions of Pfizer are flagged as well as vaccine hesitancy.
Schlusswort
Wir haben bei diesem komplexen Thema natürlich nur die Oberfläche angekratzt, zumal der schiere Aufwand mit welchem dieser Informationskrieg geführt wird, einen nur noch verständnislos zurück lassen kann. Eines müsste jedoch klar geworden sein: Luxemburg ist kein weißer Fleck auf der Landkarte, was das Aufspüren von- und die Reaktion auf sogenannte Desinformation angeht. Wir hoffen, wir konnten etwas Licht auf das Geschehen hinter den Kulissen werfen, auch wenn sich nach der Lektüre wahrscheinlich mehr Fragen stellen als vorher. Eine öffentliche Diskussion über dieses brisante Thema ist überfällig, auch wenn die Aussichten schlecht stehen, dass sie zustande kommt.
Wir möchten mit Milosz Matuschek schließen, welcher wir bereits eingangs zitierten:
Ob es den Mächtigen gefällt oder nicht: Zensurbestrebungen sind gerade die beste und günstigste Werbung für Alternativen. Je fester man die Schraube der Zensur jetzt anzieht, desto eher treibt man die Masse der Menschen auf zensurresistente Plattformen, also in den sicheren Hafen.
NATO Strategic Communications Centre of Excellence (29.10.2021):
Inoculation Theory and Misinformation
https://stratcomcoe.org/publications/inoculation-theory-and-misinformation/217
Computer Incident Response Center Luxembourg (CIRCL) https://cybersecurity.lu/entity/324
JMIR Infodemiology: Infodemic Management Using Digital Information and Knowledge Cocreation to Address COVID-19 Vaccine Hesitancy: Case Study From Ghana
https://infodemiology.jmir.org/2022/2/e37134/